Start für die Eurograupe

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Eurohawk
 
Wir Schwaben zeigen dem deutschen Verteidigungsminister, wie man Drohnen baut.

Ulrich Stolte
 
Der Skandal um die  Drohnen der Bundeswehr hat dem Hochtechnologiestandort Deutschland geschadet wie selten etwas. Dabei hat jeder Imker funktionierende Drohnen. Warum die Bundspechte den Vogel nicht in die Luft kriegen, hat uns die Bundesregierung mit irgendwelchen bürokratischen Hemmnissen erklärt. Wahrscheinlich aber, weil er teilweise in Amerika entwickelt wurde und nicht bei den Leuten, die alles können. Bevor das Verteidigungsministerium weiteres Geld aus dem Fenster wirft, sollte es die Eurodrohne in Schwaben  bauen lassen, es könnte damit sogar die angeschla­gene heimische Luftfahrtindustrie wieder flügge machen. Die Kirchheimer Firma Graupner beispielsweise, die uns seit unserer Kindheit mit ihren schönen Flugzeugmodellen beglückt.
Genauso wie die Graupner-Flieger würden wir die Eurograupe komplett in Balsaholz bauen, damit wären sie für feindliche Radargeräte praktisch nicht zu orten. Die Eurograupe könnte sich komplett als Xylofon tarnen und wäre auch noch biologisch abbaubar. Das ganze System könnte, wie viele andere Graupner-Flieger, als Bausatz geliefert werden und die afghanischen Bundeswehrsoldaten aus ihrer Langeweile nach Dienstschluss erlösen. Und funktionierende Fernsteuerungen, die jedes Kind versteht, stellt Graupner schon seit den fünfziger Jahren her.
Außerdem könnte man die Eurograupe mit einem umweltschonenden Gummimotor ausstatten. Erinnern Sie sich noch an dieses Spielzeug? Man drehte den Propeller und verdrillte damit ein langes Gummiband. Ließ man den Propeller los, drillte sich das Gummiband wieder auf, trieb solcherart den Propeller an, und der Flieger segelte ein paar Meter durch den Garten. Erinnern Sie sich auch noch, wie der kleine Gummiflieger von Graupner hieß? Er hatte damals schon den für die Eurodrohne passenden Namen. Er hieß: Flop.

Bahnsinn V, bitte beachten Sie: Das Fegefeuer hat keine Sitznummerierung

Bahnsinn V, bitte beachten Sie: Das Fegefeuer hat keine Sitznummerierung

 

 

Collage von Matze Mundel
Collage von Matze Mundel

Würde die Bahn ihre ICE-Sprecherinnen an Komapatienten vermieten, könnte sie ein blühendes Geschäftsfeld eröffnen. Soeben reißt mich eine Reibeisen-Stimme aus den zehn Minuten Schlaf, die mir Morpheus von Stuttgart nach Mannheim gnädig gewährt und informiert, dass in der ersten Klasse jetzt die Getränke serviert würden. Ich glaube, solche Sätze würden die Komapatienten nicht nur aufwecken, sondern auch zuhauf in die erste Klasse treiben, wo sie weitere Durchsagen bei Bewusstsein hielten: „Der Kaffee auf Sitz fünf fällt wegen einer Betriebsstörung aus. Bitte den den Kaffeeautomaten von Taxi-Münster am Halberstadter Bahnhof benutzen.“ Vielleicht würde auch das jüngste Gericht nicht mit den drei Posaunen, sondern mit einer Bundesbahndurchsage beginnen: „Purgatorium kommt heute auf Gleis 666. Achtung, das Fegefeuer brennt ohne Sitznummerierung“.Wach würden die Lebenden und die Toten auf alle Fälle.

 

Die Bundesbahn, stets zu neuen Schandtaten aufgelegt, hat jetzt eine verpflichtende Platzreservierung für den ICE-Springer nach Berlin eingeführt. Warum man in einem ICE-Sprinter von Stuttgart nach Berlin eine Platzreservierung braucht, ist schleierhaft, den Zug könnte nicht mal der hoffnungsvollste Optimist als halbvoll bezeichnen. Die Platzreservierung aber bedeutet, dass ich in meinem Waggon mit vier Fahrgästen in einem Abteil schmachte, während sich im nächsten Waggon gerade mal drei Leute verlieren. Also weg von hier. Im Speisewagen sitzt eine der zwischenzeitlich übermäßig vielen Frauen, die sich für die Fußball-Europameisterschaft interessieren. Überall sitzen sie! Stets heben sie an, „ich finde, EM, also ich finde“, und dann stürzen sie sich in eine Todesspirale von Nebensätzen, die kurz vor dem tödlichen Einschlag durch „EM“ wieder Aufwind kriegen: „Und dann, EM, also dann sag ich, keine Ahnung,…“

 

Ich muss umsteigen und werde nie erfahren, wie die EM ausgegangen ist. Am Bahnsteig von Hannover sitzen Menschen in gelbumrandeten Quadraten und rauchen in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Mir wird klar: Die einzige Firmengruppe der Welt, die uns vor den Smartphones retten kann, ist die Tabakindustrie. Raucher halten in den Pausen zwischen ihren Lebenstakten Glimmstengel in der Hand. In den Händen aller anderen brennen die Handys ihr leuchtdiodenweißes Licht in die Nacht.

 

Mein ICE-Sprinter rauscht nach Berlin davon: Die Bahnsteig-Anzeige warnt Raucher wie Nichtraucher: „In diesen Zug nicht einsteigen“ Die Bahn ist kurz davor, ihren großen Traum zu verwirklichen: Keine Fahrgäste mehr, die den Betriebsablauf stören.

Bahnsinn Teil IV. Love me, Gender

Bahnsinn Teil IV. Love me, Gender.

 

ICE, Kassel-Wilhelmshöhe. Offenbar klafft meine Einsamkeit so, dass eine Nachbarin versucht, sie aufzufüllen. Sie ist jung, hat aber Geld und lässt das sorgsam unter den Schlitzen ihrer Bescheidenheit hindurchblitzen. Wir bringen ihr dreijähriges Kind vom Quengeln zum Spielen und sitzen ein Weilchen am Zug-Fenster und reden über Kinder, was man immer tun kann, wenn man Kinder hat, so wie man über Fußball redet, wenn man Fußball hat, oder über das Wetter redet, wenn man Wetter hat.

 

 

Aber darüber wollte ich nicht schreiben, sondern lieber etwas über Semiotik. In den Neunzigern war das die hippe Theorie auf den Universitäten. Sie erforschte die Wechselwirkung zwischen Zeichen und Dingen und kam wie üblich zu dem Ergebnis, dass es eine Wechselwirkung zwischen Zeichen und Dingen gebe. Wie die aussieht, wusste die Theorie nicht, und hütete sich auch es herausfinden, denn dann wäre sie ja überflüssig geworden. Mitsamt den ganzen Lehrstühlen. Außerdem war gerade die Postmoderne angebrochen, in der es keine Wahrheiten mehr zu geben schien. Immerhin hatte die Semiotik die Spaßguerilla hervorgebracht mit folgender Überlegung: Wenn wir schon nicht die Hoheit über die Zeichen haben, dann müssen wir die erste Zuschauerreihe besetzen und denen hinter uns erklären, was die Zeichen wirklich bedeuten. Im Kino sind solche Leute immer die beliebtesten. Friedrich Hölderlin hatte – mal wieder – völlig unverstanden und mal wieder 200 Jahre zu früh den besten Beitrag aller Zeiten über Zeichen geschrieben: „Ein Zeichen sind wir: deutungslos“ Jetzt erkenne ich, was die Zeichen sind. Das Weiße zwischen den Buchstaben.

 

 

„Was sind Zeichen?“ „Das Weiße zwischen den Buchstaben!“ „Stammt das von Ihnen?“

 

Ja natürlich. Klingt gut und sagt nichts. Macht mal  endlich ein Seminar über Gender-Konstruktion bei Friedrich Hölderlin! Gebt es mir, ihr schlappen Germanisten!

 

Madeleine, das Schreiben der Verwundeten

 

 

Hallo Madeleine, weißt du noch, dass es einst von   Airfix  diese  Flugzeuge gab, Panzer und Plastiksoldaten und natürlich auch die kleinen Farbtöpfe der Marke Enamel? Humbrol hieß der Hersteller. Man konnte die Bordkanonen  anmalen und die Maschinengewehre. Alles flog  in die Tonne, als   ich beschloss, den Kriegsdienst zu verweigern, dazu passte kein Kriegsspielzeug. Die Farbtöpfe behielt ich, sie standen Jahre  im Keller und der Rost fraß an den Deckeln, so wurden sie alle gleich rostbraun. Nachdem sie  wie  aus Gewohnheit  Jahrzehnte  im Kellerschrank standen, gab es auch keinen  Grund mehr, sie wegzuwerfen.

Vor etwa zehn Jahren kaufte  kaufte ich eine Box-Kamera  aus den 50er Jahren, um meine Sammlung abzurunden,  vor ein paar Wochen probierte ich sie aus. Zuvor spannte ich die Federchen nach, putzte die Linse, schnitt mir einen Tragegriff zurecht, schmierte Rostumwandler auf das Gehäuse und suchte nach schwarzem Lack. Da fielen mir die  Enamel-Farbtöpfe ein. Als ich sie aber öffnete, stieg der Duft von Farbe  und Petroleum auf,  ein ganz eigener Duft, den heute keine Farbe mehr hat und, o Madeleine:

Plötzlich war alles wieder da. Der Rauch steigt aus dem Motor der Messerschmitt 109. Schwarze Schwaden beißen in mein Gesicht, ich muss husten, im höchsten Diskant kreischt die Kurbelwelle auf, das dumpfe Tackern der Bordkanonen.  Die Maschine trudelt,  die Landschaft kreist, ich ziehe den Steuerknüppel hoch, die Nase zeigte noch einmal nach oben, der Propeller steht, aber ich bin beinahe unten,  tief pflügen die Räder über die Erde und die Maschine kommt zum Stehen, ich steige aus. Überlebt. Auf meinem verrußten Gesicht haben die Tränen weiße Spuren hinterlassen.

Nein, nie etwas wegschmeißen, weil allem Existierenden noch einer, wenigstens ein magischer Moment inne wohnt.