Bahnsinn,Teil III Hamburg, Stadt der Kräne und Kähne

 

Die Brille ist randlos, sein Zorn ist maßlos, die Litanei endlos. Die Lider des Mannes sind halbkreisförmig   über die Augen geschwungen wie Pagoden voll Hass: „ich  lasse das in Zukunft, das  ist doch ein Drecksverein, die haben es nicht einmal geschafft, einen einzigen Zug  nach Braunschweig pünktlich ankommen zu lassen, und ich fahr da schon seit einem Vierteljahr. Die Bahn bricht am laufenden Band den Vertrag, sie unterbreitet mir ein Angebot von Zeit und Strecke und ich bezahle das und nicht wenig, 70 Euro bezahle ich, und dann ändert sie am laufenden Band den Vertrag.“  Der Hamburger ist auf Recht und Geld bedacht.

 „Und dann kann ich  das, was ich zu erledigen habe, in Braunschweig nicht erledigen und muss  länger bleiben. Aber glauben Sie, die würden dann die Zugbindung aufheben für die Rückfahrkarte?   Am liebsten wäre der Bahn, es würde überhaupt niemand mit ihr fahren, dann könnten sie machen, was sie wollen.  Nach einer Statistik ist die Bahn das unbeliebteste Unternehmen in Deutschland. Nach der Telekom.“   

 

Und mein Kind muss auf mich warten. . .

 

Nichts ist allerdings durch  und durch schlecht,  selbst die Bahn nicht.  Sie liefert mir ein neues Wort, das leise und beruhigend aus dem Mund einer Strickmützenmama dringt: „Haben Sie so ein  Handyfischding?“ Fischding,  man merkt, dass man in Hamburg ist. Der Schaffner holt die Zange und die Frau bekommt  ihr Telefoniergerät zurück, das ihr ins Gleisbett zwischen  gefallen war. Die nächste Durchsage „Wegen Bauarbeiten vor Mühlheim hat der ICE 91 aktuell eine Verspätung von 17 Minuten.“

.„Drecksverein. Ich fahr mit dem Bus.“ Ich nicht, aber Böses zeugt Böses an diesem Morgen:

+++Der Anschlusszug  wartet,  verpasse ihn um zehn Sekunden +++ verliere meine Fahrkarte+++ kaufe neue in Hannover +++ verliere meinen Stick ++++ kann nichts mehr arbeiten am Laptop ++++ Schlafe ++++ wirre Verse in unruhigen  Träumen +++Die Schaffnerin findet meine Fahrkarte+++kann ich sie  zurückgeben?+++Apfelblüten nicken mir zu +++Die Strecke verschmilzt mit dem Frühling+++ bin ich noch?+++wo?++

Bahnsinn, II, Tauben blicken auf

 

12.05.2013, Tauben blicken auf,  picken. Der   Regen schwemmt alle  die erwartungsvollen  Fahrgäste  in das Bahnhofsgebäude,  jetzt wo der Stuttgarter Bahnhof kein richtiges Dach mehr hat und wo der Zug nach Hamburg eine halbe Stunde zu spät kommt und noch später in Hamburg ankommen wird. Man kann sich nirgends  hinsetzen im Bonatz-Bau, also lese ich Ciceros Buch vom Orator  im Stehen, wie es sich für einen echten  Redner gehört.  Die meisten Menschen sind ein äußerer Monolog: „Do, jetzt scheint die Sonn wieder,  hot irgendjemand die Durchsag verstanden, also dass sich do no kaaner, wie komme mer jetzt. . .“ sagt die Frau neben mir, die einen Platz im Stehcafé ergattert hat. Die Überlegung, dass die Kaffeeindustrie solche Verspätungen inszeniert, um die Stehcafés zu bevölkern, wächst bösartig. Ich werde auf der ganzen Strecke   nach eiligst weggeworfenen Kaffeesäcken Ausschau halten. Jede Einzelheit kann wichtig sein.