Esslingen: Wie gut, dass es Leitsysteme gibt, die genauestens auf meteorologische Veränderungen reagieren!
Von Ulrich Stolte [übernommen aus der Stuttgarter Zeitung]
Schilder helfen den Menschen. Die Hilfe ist da am größten, wo sich die Zeichen am Straßenrand auf die Sorgen und Nöte von uns einstellen. Nur so fühlen wir uns von mächtigen Gebilden wie der StVZO Anhang EV oder dem BMVBS verstanden, was stets guttut auf den unbarmherzigen Kilometern der Fahrt zwischen Wohn- und Dienstort. Und wenn ich in Wolkenbrüchen mit Tempo 15 über die B 27 schleiche und der Scheibenwischer nach einer Minute das Wasser so weit abgekratzt hat, dass ich kurz einen Blick nach draußen werfen kann, erblicke ich immer das Schild des Verkehrsleitsystems, das mir anzeigt: »Regen, langsam fahren«. Und es wird klar, dass irgendwo in den Schaltkreisen der Stuttgarter Verkehrsrechner jemand sitzen muss, der meine Ängste kennt.
Wie schrecklich war es dann, als diese seit Jahren lieb gewonnene Verschmelzung von Autofahrer und Schild neulich in irgendeiner Gemeinde auf den Fildern so schnöde, so unachtsam unterbrochen wurde. Es war am rechen Straßenrand. Es war eine Tafel mit orangefarbenen Leuchtbuchstaben, die mich anbelferten wie die Schnauze eines Kettenhundes: »Sie fahren 51 Stundenkilometer!«, behauptete die Anzeigentafel. Aber es stimmte nicht: Ich fuhr doch keine Stundenkilometer. Ich fuhr doch Auto. Ratlos verbrachte ich die nächsten Tage hinter dem Steuer, und die tägliche Fahrt über die B 27 kam mir kälter und unbarmherziger vor denn je. Einige Wochen später rollte ich wieder durch besagtes Dorf auf den Fildern, und irgendjemand hatte der gellenden Anzeigentafel den Strom abgedreht. »Sie fahren« stand da nur noch. Ich blickte auf den Tachometer. »Ich fahre«, dachte ich. »Es stimmt.« Ich fuhr, und die lang entbehrte Einheit zwischen Schildern und Autofahrer war da, unverbrüchlich wie nie zuvor. Zuweilen, das wurde mir klar, sendet auch ein kühler Spätsommer goldene Altweiberfäden aus.